Private Property

Irland 2016, wie geht´s Dir? Fast auf den Tag genau vor 16 Jahren, am 26. Mai 2000, zogen wir von München nach Irland um. Obwohl wir das Land gut kannten, war alles aufregend, neu und inspirierend, als wir an einem Sonntagmorgen, dem 28. Mai, hier ankamen. In den ersten Jahren genoss ich vor allem das Privileg der Vergleichbarkeit: Umziehen schafft Distanz zum Bekannten und Vertrauten, es wird für einen dadurch besser sichtbar. So veränderte sich in Irland mein Blick auf Deutschland.

Zäune-klettern_xs-635x367Im Lauf der Jahre wandelt sich das Bezugssystem der Wahrnehmung: Das Neue wird vertraut, das Bekannte langsam fremd. Neulich scheiterte ich in einem deutschen Supermarkt kläglich beim Versuch, ein paar Pfandflaschen in die richtigen Pfandautomaten zu stecken. Erst ein aufgeregt herumfuchtelnder Profi-Pfandflaschen-Entsorger und dessen Kurzbelehrung gaben mir Orientierung und Gewissheit: Ich bin in der alten Heimat ( und manche Charakter-Eigenschaften ändern sich nie).

Wanderweg_gesperrt-635x331Die neue Heimat wurde derweil zur Heimat, das Überraschende gewöhnlich, das Ungewöhnliche langsam normal. Die Wiederholung versucht permanent, unsere Sinne einzulullen und abzustumpfen. Ich helfe mir regelmäßig mit einem Trick (ein deutsches Trend-Wort nennt das heute Achtsamkeit): Ich stelle mir vor, ich sei zum ersten Mal an diesem Ort, in dieser Situation, in dieser Lage, versuche mit den Augen des Fremden zu sehen, neu, neutral und unbefangen.

In den vergangenen Tagen war ich viel zu Fuß in der Heimat im irischen Südwesten unterwegs und stellte meine Wahrnehmung auf Neustart. Ich versuchte zu sehen, was ist und das mit meinen Eindrücken vor eineinhalb Jahrzehnten zu vergleichen, um so zu erkennen: Was hat sich verändert in Irland? Irland 2016, wie geht´s Dir?  Bei diesem Gedankenexperiment, das natürlich bewusst übersieht, dass sich meine Wahrnehmung als solche im Lauf der Jahre geändert hat, fiel mir unter anderem auf:

Verriegelt, privat, verschlossen: Das ländliche Irland ist ein verbarrikadiertes Land, ein hermetisch abgeriegeltes Land, ein verschlossenes Land, in dem das Privateigentum regiert wie nirgendwo sonst in Europa. Überall Zäune, Tore, Stacheldraht, Verbots-Schilder, die einen Ausflug in die Tiefe der Landschaft verhindern. Wir bewegen uns zwischen Zaunpfosten und Draht wie auf Gleisen. Abbiegen unmöglich. Wer es doch versucht, darf mit einschlägigen Erfahrungen rechnen, die die engen Grenzen der sprichwörtlichen irischen Gastfreundschaft aufzeigen. Ein Gast beschrieb mir vor kurzem, dass er auf seiner Autoreise durch das ländliche Irland wegen eines kleinen menschlichen Bedürfnisses dringend anhalten musste. Der Mann brauchte peinigende 20 Minuten, um schließlich eine geeignete Stelle zum Anhalten und Austreten zu finden. Keine Ausnahme.

BewareSelbst vermeintlich öffentliche oder semi-öffentliche Orte wie kleine Parkplätzchen am Straßenrand (so es sie gibt) stehen unter ständiger Beobachtung. In Irland haben die Büsche Augen und Ohren, sagt man. Gestern stand ich nach Feierabend für einige Minuten mit dem Auto auf einem kleinen einsamen Pier am Meer und genoss die sich langsam senkende Sonne. Es sollte nicht lange dauern, bis der erste Aufpasser wie zufällig vorbei kam und sich demonstrativ an einem Haufen Fischereimüll zu schaffen und sich damit sichtbar machte . . .

Ein befreundeter irischer Arzt wollte vor 14 Tagen nach langer Fahrt ein kurzes Nickerchen im Auto machen. In der Pampa von Nord-Cork stellte er sich in eine breite Feldeinfahrt, achtete genau darauf, dass er das (mit einem Vorhängeschloss gesicherte) Tor nicht zuparkte. Nach wenigen Minuten wurde er vom aufgebrachten Landbesitzer jäh geweckt, bedroht und davon gejagt. Das ist mein Land, Irland 2016!

Vor einigen Jahren las ich in der Irish Times die selbstkritische Headline: “Landbesitz ist eine irische Obsession”. Man darf hinzufügen: Eine sich verschärfende. Ausgeprägter Besitzerstolz, eine destruktive Agrar-Subventions-Politik, die angstgetriebenen Eigentumsansprüche von Bauern und eine Regierung, die sich vor der Aufgabe weg duckt, die Wegerechte für die Öffentlichkeit zu schützen, haben die Verriegelung und Verbarrikadierung und Verrammelung der Landschaft in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten drastisch verschärft; und die Farmer mit dem alten Ethos, demzufolge man einen Mann (!) nie daran hindern darf, über Land zu gehen, diese Farmer sterben langsam aber sicher aus.

Irland-Fans und irland-Fahrer: Was sind Eure Erfahrungen, wenn Ihr in Irland unterwegs wart und das Land abseits der Straße und der ausgeschilderten Wege erkunden wolltet?     

Fortsetzung folgt . . .