Irland ReiseführerMuss das nicht ein herrliches Leben sein — genussvoll durch die Welt zu reisen, darüber Bücher zu schreiben und auch noch Geld damit zu verdienen? Petra Dubilski * ist eine dieser Reisebuch-Autorinnen mit dem herrlichen Leben. Sie hat auch über ihre Wahlheimat Irland mehrere bekannte Reiseführer geschrieben und kennt sich mit dem privilegierten Leben einer reisenden Autorin bestens aus. Hier ihr Bericht aus der Lebenswirklichkeit.  

 

Auf meinem Schlafzimmer-Leseregal liegt ein Buch, das immer wieder nach hinten rutscht (zuviele Krimis davor). Es heißt „Do Travel Writers go to Hell? – A Swashbuckling Tale of High Adventures, Questionable Ethics & Professional Hedonism“. Angeblich geschrieben von einem Lonely Planet Autoren. Gehen Reisebuchautoren zur Hölle?

Ich glaube, ich brauche das Buch eigentlich nicht zu lesen, weil der Titel allein – und der Verlagstext auf der Rückseite – schon genug sagen: Reisebuchautoren wissen nicht alles, haben nicht alles gesehen und getestet, aber haben dafür viel Erfahrung, Fantasie, Überzeugungskraft, können deswegen über Orte schreiben, die sie nie gesehen haben und haben vor allem gaaanz wenig Geld. Letzteres verbietet allein schon, in jedem Restaurant gegessen und in jeder feinen Unterkunft genächtigt zu haben. Kreativität, gute Verbindungen, Recherchekunst und, doch ja, Erfahrung mit der Essenz des beschriebenen Landes sind angesagt.

Wie machen das die Reiseschreiber also? Vor allem, wenn der Verlag strenge Rahmenbedingungen und noch strengeren Umfang vorschreibt.

Reisebücher zu schreiben ist eine Leidenschaft, die meist von Menschen gepflegt wird, die andere Einkommensquellen haben. Leben kann niemand davon. Trotzdem habe ich diesen Weg gewählt, weil ich einfach gerne reise und gerne darüber schreibe – nur nicht so, wie ich es mir einst vorgestellt hatte.

 

Dubilski Irland

*Die Autorin: Petra Dubilski, geboren und aufgewachsen in Berlin, mit längeren Zwischenstationen in Baden und Schwaben, studierte an der Uni Freiburg und der FU Berlin alles mögliche, was die Welt und den Menschen erklären könnte, mit Abschluss in Soziologie. Nach Jahren in meist sozialen oder kreativen Berufen arbeitete sie als Redakteurin bei einer überregionalen Tageszeitung, machte sich anschließend selbstständig und schrieb Reisebücher. Heute lebt sie als freie Autorin und Übersetzerin in Irland, wo sie sich seither mit Realitäten auseinandersetzt, die sie seit über 17 Jahren auf der grünen Insel noch immer verblüffen – und faszinieren.

Eine Auswahl von Petra´s Büchern gibt es hier.

 

Als Frühteenie hatte ich in der Schule ein Aufsatzthema über die gewünschte Zukunft. Ich schrieb, dass ich durch die Welt reisen und alle meine Abenteuer aufschreiben wolle. Wie Karl May, nur dass der sich das alles ausgedacht hatte. Ich wollte hingegen alles selbst erleben. Und Winnetou heiraten. Oder so.

Meine Aufsatzfantasie sah also folgendermaßen aus: Ich reise durch die Welt, schreibe spannende Bücher und ziehe mich dann in ein romantisches Häuschen auf dem Land zurück. Das mit dem Geldverdienen kam nicht so vor, das orientierte sich eher am häuslichen Taschengeld.

Meine Teenagerträume wurden wahr, in gewisser Weise, aber: Be careful what you wish for.

Ich reiste und schrieb darüber, ich lebe mittlerweile in meinem eigenen Cottage auf dem Land im irischen Westen – aber das Reisebücherschreiben ist eine Qual, kein Vergnügen oder gar Selbstverwirklichung, weil es sich nur noch um Service dreht: Die besten Sehenswürdigkeiten, die besten Tipps für Restaurants, Unterkünfte und Abseitiges, Öffnungszeiten, Preise und Blaaah.

Das im Detail und leibhaftig zu recherchieren kann sich kein Reisebuchautor leisten, der kein anderes Einkommen hat. Auch keine Reisebuchautorin, die mit ihrer Taille, ihrem Bankkonto und ihrer Abneigung gegen schlechte Kost zu überteuerten Preisen zu kämpfen hat.

Und ja, ich bekam Angebote für “Freebies”, also zum Beispiel umsonst zu nächtigen, wenn ich das Etablissement im Buch empfehle (manchmal auch, mir das Haus nur anzuschauen, ohne Freebie, aber mich von einer Tasse Tee überzeugen zu lassen – Iren, gell?). Nix da, liegt mir nicht. Wenn ich durch Irland reise, dann nächtige ich nach Lust und Laune und billig und oft viel abenteuerlicher als der Durchschnittstourist es verlangt (unvergesslich Aidan’s „B&B“ in Crossmaglen vor dem Friedensabkommen mit maschinengewehrigen Brits und altem Kaugummi in der Bettdecke, und nochmal zehn Jahre später mit Farbeimern im Frühstückszimmer und seinem endlichen Coming-Out – eine Geschichte für sich), schaue mir den Rest an und verlasse mich auf Empfehlungen von Freunden und Lesern, und auch Internetrecherche. Ich habe da zuverlässige Quellen.

Vorbei die Zeiten, als ich 1995 mein erstes Irland-Buch für Dumont schrieb, wo Impressionen noch wichtiger waren als Adressen. Obwohl auch damals viel von den kleinen und oft viel aufschlussreicheren Erlebnissen auf der Strecke blieb. Für Verlage gilt Kundenservice, der Wettlauf mit Lonely Planet und mit dem viel aktuelleren Internet (obwohl ich die Tipps zum Beispiel in  Tripadvisor oft sehr zweifelhaft finde).

Das Manuskript der ersten Ausgabe meines aktuellen Irlandbands von Dumont hatte über 700 Seiten – ich musste auf gut 400 Seiten kürzen. Klar, dass sich Leser beschwerten, dass dies oder jenes nicht erwähnt wurde, dass der eine oder andere Rundturm, jenes Pub, Restaurant oder B&B nicht auftauchten, dass ganze Orte verschwanden.

Hotel oder Hostel, Sekt oder Selters. aus dem leben einer Reisebuchautorin

Hotel oder Hostel, Sekt oder Selters. Aus dem Leben einer Reisebuchautorin

Viel trauriger fand ich selbst, dass viele meiner alltäglichen Erlebnisse bei der Recherche und beim Schreiben den Weg ins Nimmerwiedersehen fanden. Meine Tendenz zum Beispiel, mich ständig zu verfahren (okay, Blondine, kein Orientierungssinn, und kein Navi, aber voller Neugier) und in Orten zu landen und auf Menschen zu treffen, die so irisch sind, wie es kein Verlag wissen will, und was für Touristen auf einwöchiger Tour durch ganz Irland ohnehin nicht ersichtlich oder interessant ist.

Ein bisschen von diesen Erlebnissen floss in den „Fettnäpfchenführer Irland“ ein, aber selbst dort waren mir die Finger gebunden – pleeease nicht so negativ, büschen mehr Liebe und viel mehr Tee und Kekse (rolleyes). Was ist eigentlich negativ an der Wahrheit und an den eigenen Erfahrungen?

Was Lonely Planet angeht: Ich will die ja nicht schlecht machen (und ich würde selbst mit deren Bücher in ferne Länder reisen), weil ich mit denen das wirkliche Geld verdiene und die Hypothek für mein westirisches Cottage abbezahle. Das heißt, ich bin eine der Übersetzerinnen ins Deutsche, weswegen auf meiner Amazon-Seite auch immer Titel wie Norwegen oder Island auftauchen. War noch nie da.

Aber beim Übersetzen, oder eigentlich Übertragen ins Deutsche, muss ich manchmal Fakten checken – und lande auf Wikipedia, wo gelegentlich wortwörtlich oder zumindest inhaltlich abgeschrieben wurde. Als Reisebuchautorin selbst sehe ich darüber großzügig hinweg. Ich kenne die Grenzen des Traums und die Desillusionierung der Reiseautoren aus eigener Erfahrung.

„Do Travel Writers go to Hell?“ Gehen Reisebuchautoren zur Hölle? Für was eigentlich, wenn überhaupt? Dafür, dass Auftragsschreiber für ein Minimum an Honorar ein Maximum an Recherche zu leisten haben? Dafür, dass Verlage verzweifelt versuchen, auf dem Markt zu bleiben, ohne in ihre eigentliche Goldgrube, die Autoren, zu investieren? Dafür, dass das Internet schneller ist? Dafür dass Leser immer etwas zu meckern haben?

Ich gehe nicht zur Hölle. Und wenn, dann für mein nächstes Buchprojekt, das allerdings erst im Gedankenstatus ist: Darin nämlich werden diverse Gestalten aus dem deutsch-irischen Milieu abgemeuchelt. Irgendwo auch eine Reisebuch-Verlagsleiterin :D …

Und dennoch, wenn’s Wetter besser wird, reise ich auch wieder durch die irische Pampa. Aber bitte erwarte niemand hier, dass ich meine Taille und mein Bankkonto für die Bequemlichkeit der Touristen ruiniere. Nehmt Reisebücher als Leitfaden, nicht als allwissende Bibel. Was ich derzeit recherchiere und aktualisiere, kommt ohnehin erst Anfang 2015 raus und kann daher in vielerlei Hinsicht schon wieder überholt sein.

Zeit, dass die Verlage sich wieder auf wirkliche Reiseberichte besinnen und den Adressenwahnsinn dem Internet überlassen.