Am Meer in Irland

Das Meer am südlichsten Punkt des irischen Festlands

Irischer Sonntag. Es ist der letzte Sonntag im Februar, ein Sonntag vor dem Schalttag im Schaltjahr 2016. Irland erwacht nach einer weiteren kalten Frostnacht in der Morgensonne. In den 40 Wahlkreisbüros des Landes sortieren fleißige Hände seit dem frühen Morgen bereits wieder Wahlscheine. Es ist Tag zwei der Auszählung der Parlamentswahlen. Während der Rest der Welt sich wundert, warum Irland zwei Tage benötigt, um das Wahlergebnnis auszuzählen, während das andernorts in vier Stunden geschieht, lassen sich die Iren nicht aus der Ruhe bringen. Nach der Schließung der Wahllokale am Freitagabend um 22 Uhr ging man erst einmal einen trinken und dann ins Bett. Die Auszählung begann dann am Samstagmorgen um 9 Uhr. Warum auch nicht, warum immer alles in Echtzeit? Am Ende wird nichts anderes stehen als ein Wahlergebnis und ein neues Parlament. Und man sollte nicht vergessen: Der Zählmodus des irischen Wahlsystems ist aufgrund der vielfachen Übertragbarkeit von Stimmen auf mehrere Kandidaten einer der kompliziertesten und zeitaufwändigsten weltweit.

Wahlen IrlandDas Wahlergebnis selber, so viel zeichnete sich schon gestern Nacht ab, ist durchaus spektakulär zu nennen: Die Irinnen und Iren haben der alten Ordnung der letzten Jahrzehnte eine Abfuhr erteilt und der Regierungs-Koalition  aus Fine Gael und Labour mehr als einen Denkzettel verpasst (Über die Gründe können Sie hier nachlesen). Diese Regierung wird es nicht mehr geben, denn beide Koaltionsparteien haben dramatische Stimmenverluste zu beklagen — und wie prognostiziert, vereinigen unabhängige Kandidaten, eine unabhängige Vereinigung und mehrere überwiegend linke Kleinst-Parteien gut 30 Prozent der Stimmen auf sich. Zwar bleibt die Fine Gael von Premier Enda Kenny die stärkste politische Kraft, doch es dürfte schwer werden, in der stark fragmentierten politischen Landschaft des künftigen Parlaments eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden.

Nur theoretisch sieht es ganz einfach aus: Enda Kenny könnte mit der erstarkten Sinn Fein zusammengehen und neben den traurigen Resten einer gerupften Labour Party noch ein paar Unabhängige um sich scharen — was in Irland heißt, mit Wahlgeschenken an sich zu binden, manche sagen: zu kaufen. Doch die Berührungsängste mit der IRA-nahen Sinn Fein sind groß. Das Polit-Establishment traut den Leuten um Gerry Adams nicht, weil viele von jenen in den bewaffneten Kampf der IRA für ein befreites Nordirland verstrickt waren und mutmaßlich noch immer in alte Gewalt-Strukturen verstrickt sind.

Sheeps Head

Unterwegs auf engen Küstenstraßen

Größer sind die Berührungsängste nur noch zwischen den beiden Parteien, die sich so ähnlich sind, dass sie sich seit Jahrzehnten wegen ihrer übergroßen Ähnlichkeit mit Inbrunst bekämpfen und im Dauerstreit miteinander liegen. Nie haben sie zusammen eine Regierung gebildet. Die Mütter und Väter der beiden eineiigen Zwillingsschwestern Fine Gael und Fianna Fail, die sich vor nunmehr 95 Jahren an der Frage entzweiten, wie man es mit den alten Besatzern, den Briten, halten soll und wie ein unabhängiges Irland aussehen soll, die sich schließlich im Jahr 1922 in einem kurzen schmerzhaften Bürgerkrieg bis aufs Blut bekämpften: Ob diese Mütter und Väter heute wohl für Verständnis, Vergebung und Aussöhnung eintreten würden? Von außen betrachtet könnte es an der Zeit sein, dass sich die beiden rechtskonservativen Zwillingsschwestern endlich die Hand reichen und sich die gemeinsame Herkunft endlich eingestehen. Der Druck der Verhältnisse könnte dazu beitragen.


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Blick über die Bucht

Dunmanus Bay im Gegenlicht

Dass die beiden Schwestern mit jeweils um die 25 Prozent der Stimmen fast gleichauf liegen, dass die alte Dauer-Regierungs-Partei Fianna Fail fünf Jahre nach dem Kollaps und einer kurzen Auszeit bereits wieder politisch geschäftsfähig ist,  das ist die eigentliche Sensation dieser Wahlen. Denn wenn die meisten Kommentatoren die Niederlage der aktuellen Regierung auf deren Umgang mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes und einer langen Leidenszeit unter dem Spardiktat fremder Mächte (Stichwort Troika) in Verbindung bringen, dann stellt sich unmittelbar die Frage: Warum gibt dieselbe Wählerschaft ausgerechnet der Partei riesigen neuen Auftrieb, die den Zusammenbruch des Landes herbeigeführt und zu verantworten hatte? Fianna Fail  zweitstärkste Partei, die Partei der Banker und Spekulanten, der rücksichtslosen Bau- und Immobilienhaie, der Wachstums-Fetischisten und Steuermodell-Reiter, die Partei auch der Groß-Korrumpels von Ex-Premier Bertie Ahern (“Schmieren und schmieren lassen“): Diese Partei sieht sich nur fünf Jahre nach ihrer Abwahl schon wieder fast ganz oben. Ist es Amnaesie, Verzweiflung oder das ohnmächtige Gefühl vermeintlicher Alternativlosigkeit gewesen, die viele Wähler beim Kreuzchenmachen zu dieser Verzweiflungstat trieb? Was auch immer, als aufrechter Demokrat sagt man in diesem Fall: Wir haben das Wählervotum und den damit verbundenen Auftrag zu akzeptieren. Und ein trinkfreudiger Keltischer Tiger 2.0 knurrt leise im Hintergrund . . .  Die aktuellen Wahlergebnisse des zweiten Auszählungstages kann man übrigens hier im Ergebnisdienst der Irish Times verfolgen: Irish Times

Osterglocken auf dem Friedhof

Osterglocken auf Hungergrab

Zu Banalerem und noch Bunterem, zu den wundervollen Sonnenuntergängen Irlands: Wir hatten vor einigen Tagen voreilig versprochen, an dieser Stelle weitere Fotos unserer LeserInnen mit den schönsten irischen Sonnenuntergängen zu zeigen — und es kamen keine. Statt dessen, der Wanderer gibt es unumwunden zu, haben wir die Büroarbeit sich selbst überlassen, haben das schöne Wetter genutzt und sind in der erwachenden Frühlingslandschaft unterwegs gewesen, um Sonne und Licht live zu genießen, um Steinkreise und Stehende Steine, uralte Friedhöfe und einsame Strände zu besuchen. Und um das milchgläserne bis pastellfarbene Licht am Atlantik zu genießen.

Steinkreis auf dem Sheeps Head

Steinkreis auf dem Sheeps Head

In diesem Sinne einen schönen entspannten Sonntag, der Wanderer.

Alle Fotos: © 2016 Markus Bäuchle