Bergwandern Irland

Am Fuß von Irlands höchstem Berg, Carrauntuohil (1039 Meter). Rechts der Hag´s Tooth, der Zahn der Hexe.

 

Warum steigen wir so gerne auf Berge? Und das in Irland? Weil sie da sind, weil sie großartig sind. Weil sie uns in den Bann einer eigenen Welt oberhalb der Sorgengrenze ziehen. Das folgende Stück über die Berge habe ich so ähnlich für unser Buch 111 Gründe Irland zu lieben* geschrieben.

“Den Genuss eines erhebenden Ausblicks vom Berggipfel hinunter über den Atlantik muss sich der Gipfelstürmer erarbeiten, erkraxeln, erwandern. Während die meisten Menschen die asphalt- und beton-reichen Gegenden auf Meereshöhe vorziehen, steige ich gerne in die Höhe, in die Caha Mountains, die Slieve Miskish Mountains, die MacGillicuddies Reeks. Viele Zeitgenossen können dieses Tun gar nicht verstehen, immerhin aber wirft ihr Unverständnis die spannende Frage auf: Warum steigen wir (Männer) so gerne auf Berge? Es ist sicher keine Modeerscheinung. Bekanntlich frönte schon der alte Moses in alttestamentarischer Zeit dem Bergwandern. Francesco Petrarca, Dichter und Vater des Alpinismus, fand im Berg und nah am Himmel im 14. Jahrhundert keinen geringeren als Gott. Wieder andere versuchten, auf dem Berg die Welt zu erkennen.

 

Da gehen wir hoch: Bergführerin Etna weist den Weg zum Gipfel

 

Verhaltenswissenschaftler wollen im Bergsteiger das ewig balzende Männchen erkennen oder dessen Auseinandersetzung mit dem väterlichen, männlichen Prinzip. Und manche suchen am Berg, der Alltagswelt entrückt, sich selbst. Bergwandern als Selbstfindung, als angewandte natur-therapeutische Selbstheilung. Wer es weniger psychologisch mag: Auf dem Gipfel ist oben. Und wer dort oben steht, hat den Überblick. Das ist es, was wir suchen und finden: Freiheit für einen Nachmittag und das Gefühl der Erhabenheit. Aber warum müssen wir fast zwanghaft Inseln besuchen, und weshalb zieht es uns ans Meer? Bleiben wir noch einen Moment in den irischen Bergen: Warum steigen Menschen auf Irlands herrliche Berge?

 

Farmer John blickt von der höchsten Stelle über sein Land

Weil sie müssen, die einen. Weil die Berge da sind, die anderen. Ich habe im Laufe der vergangenen 15 Jahre immer einmal wieder Menschen auf den Berggipfeln von Kerry und Cork getroffen, die dort oben auf der Suche nach ihren Schafen waren. Die Schaf-Farmer sind die eigentlichen Könige der Berge. Könige in Gummistiefeln. Sie kennen das Land, ihr eigenes Land, wie kein anderer.

 

Blick vom Carrauntuohil


Schaffarmer
nehmen die Berge als Kapital und als Ernährungsfläche wahr. Wie viele Schafe würden wie lange dort oben Futter finden? Wie viele Tieropfer würde der Berg in diesem Jahr fordern? Wie viel würden die Lämmer an Gewicht zulegen? Wie würde der Kilopreis für Lamm am Ende des Sommers sein? Diese Fragen beschäftigen den Farmer.

Wanderer und andere Touristen gehen in die Berge und freuen sich über die unvergleichbare Aussicht, die Farben und die ästhetische Wucht des irischen Hochlands. Sie stehen und staunen – manchmal ergriffen von der Einmaligkeit des Augenblicks dort oben in den Sphären des “Außerweltlichen”.

Der typische Farmer kann über derlei Romantik allenfalls lächeln. Kürzlich traf ich Dan in Kerry, einen der Männer, denen Irlands höchste Berge gehören. Dan hat Verständnis für Bergwanderer, nimmt für sich aber in Anspruch: „Wer vier- oder fünfmal im Jahr dort hoch muss, um seine Schafe zu suchen, blickt realistisch von den Gipfeln herunter”. Immerhin schätzt Dan die Höhen von Carrauntoohil, Caher oder Benkeeragh aus anderem Grund: „Schafe, die dort oben ihre Heimat finden, haben die beste Fleischqualität”.

Wandergruppe in den MacGillycuddys Reeks in Kerry

 

Mit einheimischen Farmern gemeinsam auf deren Berggipfeln zu stehen – auch die Berge Irlands sind größtenteils Privateigentum – macht deutlich, warum ein und dieselbe Bergtour in ganz unterschiedlichen Erfahrungswelten stattfindet. Noel sagt mir: „All diese Schönheit kauft mir kein Brot”. John resümiert den Trip in die Berge so: „Die Zäune sind in Ordnung, der Nachbar wird sich nicht beklagen müssen.”

Einmal ging ich mit Pauline hinauf auf den Beara-Berg Maulin. Sie war das erste Mal dort oben und genoss die weite Aussicht auf die Bantry Bay. Pauline kann beides: Pauline ist Schaffarmerin, die in die Berge gehen muss, und sie genießt die grandiose Natur ihrer Heimat auch bei einem zweckfreien Berggang von Herzen. Sie ist eine Ausnahme.”

 

 

111 Gründe, Irland zu lieben

Was fasziniert uns an Irland? Irland ist anders. Anders als Deutschland, anders als das kontinentale Europa, und auch deutlich anders als das Image, das die Grüne Insel im deutschsprachigen Europa genießt. Anders im Sinne von erkenntnisfördernd: Wer sein Leben lang auf der rechten Straßenseite gefahren ist, wird das Linksfahren als Herausforderung, als Bereicherung oder aber als Zumutung betrachten. Wer deutsche Direktheit gewohnt ist, wird sich angesichts der freundlich-positiven irischen Umgangsformen schulen – oder scheitern. Und wer Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und absolute Präzision zu seinen Tugenden zählt, wird sich ändern – oder wieder gehen. So vieles ist anders als das, was wir in Mitteleuropa kennen: die Farben, die Geräusche, das Wetter, das Essen, die Arbeit, die Freizeit, ja selbst das Bier – und das alles nur zwei Flugstunden von München, Basel, Frankfurt oder Wien entfernt. Willkommen in Irland! Das Buch ist im Juni 2017 in erweiterter zweiter Auflage erschienen, Jetzt mit drei neuen Gründen und 32 Seiten Foto-Teil.

Hier bei Buch7  für  € 13

 

 

 

Alle Fotos: Markus Bäuchle [e130617+160418]

 

Blick vom Hungry Hill auf Bere Island