Irland münchen

Marienplatz. München.

Im Mai 2000 sind wir aus München aufgebrochen und nach Irland umgezogen. Warum ausgerechnet Irland? Es war keine Auswanderung, kein Neuanfang im vermeintlichen Paradies. Es war ein Umzug innerhalb Europas, in die Naturlandschaft eines besonders schönen Ortes: die ländliche Gegend am Atlantik in Irlands Südwesten. Immer mal wieder versuche ich, mir über die Verschiebung von Prioritäten klar zu werden und zu beschreiben, ob und warum ich mich in der Heimat unserer Wahl besonders wohl fühle: 16,5 alte und neue Gründe, warum ich Irland liebe — und hier lebe. 

1. Weil das Land hier weit und offen ist. Weil es Raum bietet für die Augen und die Seele. Der größte Luxus in einer zugemauerten und kaputt-asphaltierten Welt.

2. Weil hier zu leben eine Herausforderung ist: Vollkasko-versichertes Leben geht anders. Ohne eigene Initiative geht nicht viel. Trotz der vielen schönen Natur. Das spornt stets  an.

3. Weil es viel unverbrauchte Natur gibt: Die Schönheit der Berge, der Strände, des Meeres, der Wiesen und Wälder geht zu Herzen. Weil ich hier die ersten Adler in freier Wildbahn, die Furcht vor dem Feuer und den Respekt vor den Orkanwinden erleben durfte.

4. Weil man/frau sich in der ablenkungsarmen Weite fernab der Städte nicht entkommt.

5. Weil es in Irland noch Vieles zu entdecken gibt. Nicht jeder Stein ist schon dreimal umgedreht, nicht jeder Berg für Freizeitvergnügte erschlossen. Hier gibt es noch Geheimnisse.

6. Weil Irland eine Abschalt-Oase ist. Die Probleme der Welt — von Flucht und Flüchtlingen über Naturkatastrophen und menschliche Katastrophen = Kriege, bis Überbevölkerung und Welt-Zerstörung: Die globalen Probleme lassen sich hier auch ganz gut einmal ignorieren. Die Insellage macht es möglich. Einfach mal abschalten — Eskapismus: kein Rezept für das Leben, aber für die Auszeit und den Medien-Detox schon.

7. Weil hier nichts zu sagen hat, wer nichts erzählen kann (Dank an Christoph Ransmayr für die schöne Formulierung).

8. Weil das Wetter in Irland immer beachtenswert und ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens ist. Regen, Sonne, Wind und Sturm sind die nahen und ständigen Begleiter.

Regen im Glen

9. Weil der Regen den Sonnenanbetern die Reise-Richtung vorgibt.

10. Weil die Luft in Irland so frisch und sauber ist. Die irische Atlantikküste ist Europas Reinluftgebiet Nummer 1. Kein Sommer-Smog, kein Winter-Smog. Immer Zeit zum Durchatmen.

11. Weil Irland das Land des Lichts ist. Das ewig wechselnde atlantische Wetter bedingt das ewige Spiel des Lichts, das Sonne, Wolken und Meer miteinander austragen.

12. Weil Autor & Wanderer als Deutscher in Irland für mich ein schöner Beruf ist.

13. Weil die Iren überwiegend liebenswürdige und stets interessante Leute sind: Sie sind freundlich, redegewandt, schlitzohrig, anarchisch, gerne einmal feige und unaufrichtig, dazu stur, gesellig, feierfreudig, erst mal unkompliziert. Und . . .

13b.  . . . weil die Iren die am Ende kompliziertesten Menschen sind, die ich kenne. Widersprüchlich, strahlende Oberfläche und fest versiegelter Kern. Nie langweilig.

Irland 14. Weil es in Irland noch einsame und wilde Orte gibt. Und dies nicht nur im Schilderwald “Wild Atlantic Way”.

15. Weil die Stille hier eine Erfahrung ist. Man kann sie hören, die Stille, diese völlige Abwesenheit von Zivilisationslärm.

16. Weil wir in Parallelwelten leben: Das Irland der Gegenwart ist ein modernes Land mit allen Annehmlichkeiten, die man braucht oder auch nicht. Auch das alte, traditionelle Irland lebt in Geschichten, Traditionen, in Liedern, in Nischen und in einzelnen Menschen weiter.

 

 

Fotos: ©  Markus Bäuchle – Wanderlust / Peter Zoeller (Foto Mitte)

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