Die Plassey – eine irische Allegorie.

Scheitern als Chance. Das irische Volk ist seinen Niederlagen und Katastrophen wärmstens und eng verbunden. Wie kaum ein anderes Land hält Irland die Erinnerung an die unerfreulichen Ereignisse der Geschichte wach – manche sagen, weil es in den vergangenen 800 Jahren so wenig erfreuliche Anlässe von historischer Relevanz gab. Ob “The Battle of the Boyne”, “The Flight of the Earls” oder “The Great Retreat” – geradezu mit Wonne zelebriert Irland 300 und 400 Jahre alte historische Niederlagen als wären es Siege gewesen.

Auch der Umgang mit Katastrophen aller Art ist eine irische Spezialität. “Disaster” wie die von Terroristen verantwortete Explosion einer Air India Boeing im Jahr 1985 vor der irischen Küste, oder die Explosion des Öltankers Betelgeuse im Jahr 1979 vor Whiddy Island werden Jahr um Jahr andächtig und mit großen Aufwand erinnert.
Wrack der Plassey am Felsenstrand von Inis Oirr

Als besondere irische Spezialität darf die akribische Erinnerungsarbeit und Aufarbeitung der in die Hunderte gehenden maritimen Katastrophen vergangener Jahrhunderte sein. Beeindruckend etwas die Sammlung aller am Mizen Head gescheiterten Schiffe, die im Besucherzentrum am südwestlichen Ort der Insel studiert werden kann; oder die Sammlung von Mick O´Rourke aus Ennis, der im Internet eine allgemein zugängliche Datenbank über Schiffswracks in Irland betreibt. (Nicht zu reden von den Berichten über das Scheitern der großen Spanischen Armada im Jahr 1588 vor der Westküste Irlands – einem Debakel, dem manche zu Unrecht die mediterrane Ausstrahlung mancher Iren zuschreiben.)
Brannte das Licht im Leuchtturm von Inisheer in jener Nacht des 8. März 1960?

Sich an Katastrophen zu erinnern, um aus Katastrophen zu lernen, kann natürlich auch ein guter Ansatz sein, um die gegenwärtige Wirtschaftskrise im Gefolge der Celtic-Tiger-Orgie zu bewältigen. Diese Gedanken gingen dem Wanderer zumindest durch den Kopf, als er kürzlich zum Wrack der MV Plassey am Carraig na Finise auf der Aran-Insel Inisheer (Inis Oirr) zurückkehrte. Er hatte den auf der Felsenküste gestrandeten Frachter für sich entdeckt, als U2 gerade eine Rockband wurde: im Jahr 1979. Die Plassey lag damals 19 Jahre auf der Insel vor der Küste Doolins und Galways. Sie war am 8. März 1960 im Sturm vor der Insel auf Grund gelaufen und später an den Felsenstrand von Inisheer gespült worden. Die elf Besatzungsmitglieder wurden gerettet, der Frachter aufgegeben. Er rostet seitdem oberhalb der Hochwassermarke vor sich hin.
Noch heute erzählen sich die Insulaner die Geschichte der Plassey – und es ist nie eine eindeutige: verschiedene Versionen wollen wissen, dass in jener Nacht im März 1960 der Leuchtturm auf Inisheer nicht funktionierte, oder dass die Plassey-Eigentümer bestens versichert waren, oder aber, dass es sich um einen normalen Unfall gehandelt habe. Wie auch immer: Im kommenden Jahr, am 8. März 2010, jährt sich die Havarie der Plassey zum 50. Mal. Das eiserne Gefährt wird dann 50 Jahre Gast auf Inisheer sein – Grund genug für eine denkwürdige Feier und eine zünftige Party?
A hole to see the sky through (© Yoko Ono). Detail der Plassey.
Die Plassey ist in Irland eine nationale Berühmtheit: Sie wird im Vorspann der 90er-Jahre-TV-Sitcom “Father Ted” gezeigt, die in Irland bis heute Kultstatus genießt. Die Insel Inisheer wird mit der fiktiven Craggy Island assoziiert, der Pfarrgemeinde von Father Ted und seiner zwei Kollegen.