Auswandern, Ortswechsel, Neubeginn: Warum zieht es Deutsche (Schweizer und Österreicher) ausgerechnet nach Irland? Wie leben sie dort? Wurden ihre Erwartungen erfüllt, was gefällt ihnen, womit haben sie Probleme? Wir stellen Menschen vor, die den Sprung gewagt haben und auf der Insel leben.

Martin Mehner irlandnews.com

Martin Mehner (46) stammt aus Guben an der deutsch-polnischen Grenze. Seit 1996 lebt er in Irland. In Dublin betreibt der gelernte Elektriker und studierte Betriebswirt außer dem Computer-Geschäft “Marx Computers” auch einen Tee-Großhandel und das Tee-Geschäft “House of  Tea“. Darüber hinaus war er sieben Jahre lang Trainer der irischen Handball-Nationalmannschaft.

Martin Mehner, warum leben Sie in Irland? Was hat Sie hierher geführt?

Zum ersten Mal war ich 1995 im Urlaub hier, während des berühmten Jahrhundert-Sommers. Ich dachte mir: Schönes Land, nur ein bisschen teuer, Wetter gar nicht mal so schlecht, Leute angenehm, tolle Pubs … hier komme ich noch mal hin. Anfang 1996 steckte ich ein wenig in der Sackgasse. Ich hatte gerade mein Studium fertig, aber mit Geschichte und Betriebswirtschaft boten sich mir nicht viele Möglichkeiten. Zufällig stieß ich auf eine Anzeige der Computer-Firma Gateway, die für Irland Mitarbeiter für den Tele-Sales-Bereich suchte. Ich bewarb mich kurzerhand, und so kam ich nach Irland.

Hatten Sie sich den Schritt vorher gut überlegt?

Ich bin eigentlich jemand, der nicht groß vorausdenkt. Meine letzte Uni-Prüfung hatte ich an einem Dienstag, am Sonntag darauf flog ich hierher und fing am Montag an zu arbeiten. Das ging alles ziemlich schnell. Ich hatte kaum Zeit, großartig über meinen Schritt nachzudenken.

Martins House of Tea in Dublin

Inzwischen sind Sie ganze fünfzehn Jahre hier. War das anfangs so geplant gewesen?

Zu Anfang war der Aufenthalt durchaus zeitlich begrenzt. Wobei ich mich nicht auf ein oder zwei Jahre festlegen wollte. Aber dass es am Ende fünfzehn Jahre werden würden, das war so nicht geplant gewesen.

Welche Erwartungen hatten Sie damals und haben sich diese Erwartungen erfüllt?

Eigentlich hatte ich nur die Erwartung: Schauen wir mal, was dabei rauskommt. Es war ein wenig so, wie wenn man ins Kino geht und niemand einem vorher sagt, wie der Film ist. Man sitzt dann da und denkt: Hmm, hätte ich mich mal vorher informiert. Ich kannte Irland ja nur vom Urlaub. Viele Deutsche haben diesen romantisch-verklärten Blick auf Irland. Aber so ist Irland im täglichen Leben nicht. Und das hat sich ziemlich schnell herausgestellt.

Wie zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass hier alles wesentlich teurer war. Aber nicht nur das. Das, was man für teures Geld kaufen konnte, besonders in den Neunzigern, war das Geld nicht wert. Das hat mich schon erstaunt. Strom war teuer, und man hauste für viel Geld in einer Hundehütte. Was diese negativen Erscheinungen aber übertünchte, ist das soziale Leben hier. Man findet relativ schnell Anschluss und, ich will nicht sagen Freunde, aber doch zumindest Bekannte. Vor allem wenn man jung ist. Aber ich kann jedem nur raten, sich vorher besser zu informieren.

Hat sich im Lauf der Zeit Ihr Blick auf Irland verändert?

Der hat sich gleich in den ersten Wochen verändert, aber das war zu erwarten gewesen. Im Prinzip hat sich mein Blick mehrfach verändert. Ende der Neunziger, als sich Irland aufraffte, wandelte sich alles zum Besseren. Die Infrastruktur wurde besser, das Warenangebot größer, Lidl kam und so weiter. Leute, die vorher ausgewandert waren, kamen wieder zurück und brachten eine neue Mentalität mit. Man achtete nun auf Qualität. Und weil die Nachfrage da war, wurde auch das Angebot deutlich besser.

2006, 2007 wandelte es sich zum Schlechteren. Alles drehte sich nur noch um Immobilien. Auf Dinnerpartys ging es nur noch darum, wie viel das eigene Haus wert war. Das ging mir gewaltig auf die Nerven. Dabei hätte jedem klar sein müssen, dass der Boom nur künstlich war und nicht ewig weitergehen konnte.

Inzwischen hat sich alles nochmal gewandelt. Die Leute sind viel bescheidender geworden. Sie besinnen sich wieder nur auf das, was sie wirklich brauchen. Und das muss zu fairen Preisen angeboten werden. Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten gesunken. Das ist positiv.

Welche drei Dinge gefallen Ihnen besonders an Irland?

TeeDas Erste ist die Mentalität der Leute. Die Leute hier sind deutlich geduldiger, in vielen Bereichen toleranter und sozialer. Iren sind soziale Wesen. Das gefällt mir. Das Zweite ist die Landschaft. Man hat sehr viel und hat es relativ schnell. Es braucht nur eine halbe Stunde aus Dublin heraus, und man ist in einer anderen Welt. Seitdem die Autobahnen halbwegs gut sind, ist man relativ schnell im Westen, und der ist wirklich spektakulär. Und die dritte Sache ist meine Frau. Sie ist schottisch-irischer Abstammung. Wir haben uns hier kennengelernt.

 

Und welche drei Dinge gefallen Ihnen nicht an Irland?

Aktuell bezogen natürlich die Gesamtsituation. Speziell, wie das Land da rein geraten ist und wie es die Situation handhabt. Das stinkt mich ziemlich an. Die Leute, die dafür verantwortlich sind, kommen ungeschoren davon. Das ist einer der Gründe, warum ich derzeit darüber nachdenke, nicht länger hier zu bleiben. Ich sehe nicht ein, etwas ausbaden zu müssen, für das ich nichts kann, wo andere kläglich versagt haben und eine Inkompetenz an den Tag gelegt haben, die erschreckend ist.

Auf mein Geschäft bezogen ist mein größtes Problem, dass die Iren einfach nur ihren Tee trinken. Und das ist schwarzer Tee von Barry’s oder Lyon’s, und nichts anderes. Es ist sehr schwer, sie für andere Sachen zu interessieren. Im Deutschen sagt man: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Und genauso ist das hier.

Die dritte Sache ist das schlechte Gesundheitssystem hier. Wenn man privat versichert ist, bekommt man vielleicht noch eine gute Behandlung. Aber wenn ich krank werde, lasse ich mich lieber in Deutschland behandeln.

Derzeit spielen Sie mit dem Gedanken, Irland wieder zu verlassen. Warum?

Martin Mehner in seinem Shop in Dublin

Das ist noch nicht ganz ausgegoren, aber an dieser Option arbeiten wir. Deutschland hat eine bessere Lebensqualität zu bieten, speziell angesichts der aktuellen Situation hier. Wie einem der irische Staat in die Tasche greift, das ist schon unverschämt. Ich kann mir gegenüber nicht mehr rechtfertigen, was von meinem Gehalt abgezogen wird. Gegen Steuern kann ich legal nichts machen. Aber ich kann das Land verlassen. Interessanterweise sind alle Deutsche, die ich in meiner Zeit hier kennengelernt habe, inzwischen wieder zurückgegangen.

 

Sie waren einmal Trainer der irischen Handball-Nationalmannschaft. Wie kam es dazu?

Man muss wissen, dass Handball hier eine absolute Randsportart ist. In der europäischen Rangliste ist Irland Schlusslicht, zusammen mit Ländern wie Albanien, Malta, Luxemburg oder Moldawien. Diese Länder sind nicht einmal für die Qualifikationsrunden zu den Europameisterschaften zugelassen. Ende der 1990er gab es in Irland das Bestreben, Handball ein wenig aus der Versenkung zu holen. 1999 wurde ich gefragt, ob ich nicht die National-Mannschaft trainieren wollte. Ich habe früher im Jugendbereich Handball gespielt. Dadurch hatte ich ein wenig Erfahrung mit Coaching. Nicht viel, aber immer noch mehr als die meisten hier. Und so wurde ich Trainer der Nationalmannschaft. Das war ich etwa sieben Jahre lang.

Mit Erfolg?

Ein klein wenig ist Irland in der Rangliste gestiegen, aber für die Qualifikation reicht es noch immer nicht. Es fehlen professionelle Strukturen, es gibt kein richtiges Vereinssystem und keine breite Basis. Man muss sich bewusst machen, dass Irland in etwa so viel Einwohner hat wie Berlin. Junge Spieler interessieren sich eher für die populären Sportarten wie Fußball, Rugby oder die gälischen Sportarten. Auch darf man nicht vergessen, dass die Iren recht kleinwüchsig sind. Das ist gut für Rugby, aber schlecht für Handball. Am Ende also kam bei der Sache nicht viel heraus. Aber ich habe es gerne gemacht und wir kamen ein wenig in Europa herum.

Wie kam es zu dem Tee-Geschäft?

2000 fing ich an, Tees zu importieren, hauptsächlich für Freunde oder für mich selbst. Das hat sich nach und nach zu einem Tee-Großhandel entwickelt. Den gibt es heute noch und er läuft auch recht gut. Ich sehe da nach wie vor großes Marktpotenzial. Das Tee-Geschäft „House of Tea“ gibt es seit 2007. Damals waren wir die Einzigen in Dublin. Inzwischen gibt es vier oder fünf Läden, die sich auf Tee spezialisiert haben.

Würden Sie noch einmal auswandern?

Ja, ohne wenn und aber. Ob es nun Irland ist, oder England oder woanders, ich kann jedem nur anraten, irgendwo hinzugehen. Jeder sollte mal raus aus seiner Glaskuppel und ein bisschen über den Tellerrand schauen, ob nun beruflich oder für die persönliche Weiterentwicklung. Den persönlichen Horizont zu erweitern, eine andere Sprache zu lernen und eine andere Kultur kennenzulernen – das ist für mich essentiell.

Das Gespräch führte Dirk Huck