Auswandern, Ortswechsel, Neubeginn: Warum zieht es Deutsche (Schweizer und Österreicher) ausgerechnet nach Irland? Wie leben sie dort? Wurden ihre Erwartungen erfüllt, was gefällt ihnen, womit haben sie Probleme? Wir stellen Menschen vor, die den Sprung gewagt haben und auf der Insel leben. Heute: Jürgen Denzinger.

Jürgen Denzinger auf Irlandnews.comJürgen Denzinger (48) lebt seit 17 Jahren in Dungarvan im County Waterford. Jürgen ist gelernter Diplom-Verlagsfachmann und arbeitet als Reformhausbesitzer auf der Insel.

Jürgen, warum lebst Du in Irland? Was hat Dich hierher geführt?

Es gibt hauptsächlich zwei Gründe sein Heimatland zu verlassen. Der erste ist Arbeit und der zweite die Liebe. Bei mir war es letzterer. Ich habe meine Frau im Urlaub kennengelernt.

Ist Dein Aufenthalt zeitlich begrenzt?

In Irland nicht, ansonsten schon …

Du betreibst ein Geschäft in Dungarvan. Was machst Du und wie läuft es?

Wir betreiben seit 1995 ein Reformhaus (Health Store) und eine Heilpraxis für klassische Homöopathie (www.remedies.ie). Es läuft am liebsten gut … da wir schon eine ganze Weile dabei sind, haben wir alle Hochs und Tiefs mitgemacht. Unsere Kunden sind sehr treu und loyal. Unser Unternehmen versorgt meine Familie mit zwei Kindern angemessen. Seit 2005 habe ich eine Drachenecke in meinem Laden eingerichtet und verkaufe nebenher noch landesweit Lenkdrachen über meine Internetseite www.kites-ireland.com. Das ist aber eher mein Privatvergnügen …

Hattest Du Probleme, Dich als Geschäftsmann zu etablieren?  

Eigentlich nicht. Als wir unser Reformhaus eröffneten, gab es noch nicht sehr viele in Irland. Es ist ein anhaltender Lernprozess, der auch viel mit Aufklärung der Kunden über gesunde Ernährung zu tun hat. Eine Aufgabe, die viel Inhalt und Befriedigung mit sich bringt. Wenn es mir in 17 Jahren nicht gelungen ist, mich zu etablieren, schaff’ ich es wohl nicht mehr …

Haben sich die Erwartungen an das neue Leben erfüllt? Wie gefällt es Dir heute?

Ich habe nie zurückgeschaut. Ich habe alles, was ich mir wünschte, hier: Ein eigenes selbstgebautes Haus am Meer, zwei wunderhübsche Kinder, meinen Partner als beste Freundin, vier Pferde und einen irischen Setter.

Wie lebt es sich als Deutscher auf der Insel? Wie kommt Du mit der irischen Mentalität und mit den Menschen zurecht?

Bestens. – Obwohl ich Exilschwabe bin, fühle mich eher als europäischer Bürger. Meine Kinder sind gebürtige Iren und ich kann mir keinen besseren Platz in Europa vorstellen, um Kinder großzuziehen.

Hast Du irische Freunde, einen Freundeskreis, gute Bekannte?

Yep. Ich kann mich über mein soziales Umfeld nicht beklagen.

Was magst Du besonders an Irland?

  1. Lebensqualität und Freiraum
  2. Die Ruhe und Natur; Outdoor Aktivitäten
  3. Die Iren sagen einem immer, was man hören will.

Was magst Du nicht an Irland?

  1. Die Iren sagen einem immer, was man hören will.
  2. Korruption der Politiker / Stadträte etc.
  3. Wenig Kultur (ausser meiner Joghurts im Kühlschrank. – Ich muss lange fahren bis in die Schauspielhäuser in Cork oder Dublin.)

Was ist Dein “irisches” Lieblingsbuch?

Ich lese viel und mag Sinead O’Connor’s Bruder Joseph O’Connor. Er ist für mich der beste „junge“ Schriftsteller aus Irland. John Millington Synge – Aran Island and Connemara – habe ich gerade fertiggelesen, und sehr empfehlenswert ist auch Markus Feldenkirchens  “Was zusammengehört”.

Und Dein Lieblingslied, Deine Irische Lieblingsband?

Bothy Band und Danu aus Dungarvan. Ich bevorzuge irische Musik live!

Und Dein bevorzugter irischer Spruch / Sprichwort?

„Paper never refuses ink“ ;-)

Was aus der „alten“ Heimat vermisst Du hier? 

Stuttgarter Hofbräu und meine alten Schulkameraden. Aber so weit weg von Deutschland sind wir ja nicht.

Hat sich Dein Blick auf Irland in der Zeit, in der Du hier lebst, stark verändert? 

Nicht unbedingt. Aber es ist immer ein Unterschied, ob man in ein Land in Urlaub geht oder dort lebt.

Wie hast Du die fetten Celtic-Tiger-Jahre in Irland erlebt und wie den Absturz in die große Schulden- und Wirtschaftskrise? 

Jürgen´s Health Shop “Remedies”

Die irische Mentalität ist sehr angenehm, nach dem Motto: Live for today. In Irland herrschte seit der Ausrufung der Republik in 1916 hauptsächlich Rezession. Die Celtic-Tiger-Jahre sind wie eine Traumsequenz aus einem Hollywoodfilm. Es war absehbar, dass ein Boom, der sich nur auf einen Sektor der Wirtschaft, nämlich das Bauwesen stützt, nicht anhalten kann.

Zum ersten mal in Irland war ich ganz perplex, wieviel Zeit die Menschen sich nehmen, um sich gegenseitig zu helfen. Als ich einen Passanten nach dem Weg fragte, antwortet er: „Kein Problem, ich komme mit und zeige es Ihnen.” Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass diese Art von Zwischenmenschlichkeit, die während der Boomjahre verloren ging, nun langsam wiederkehrt und man sich auf mehr Beschaulichkeit und das „Wesentliche“ konzentriert.

Leidest Du unter dem neuen Image der “hässlichen” oder der” übermächtigen Deutschen”  in Europa?

Nein.

Wo steht Irland in zehn Jahren?

Wo steht die Humanität in 10 Jahren, wäre mir die wichtigere Frage.

Würdest Du den Schritt nach Irland noch einmal tun?

Jederzeit.

Danke für Deine Antworten Jürgen, alles Gute!