Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die Pläne schmieden – und dank unserer Vorstellungskraft tun wir das sogar über den eigenen Tod hinaus. Erst stellen wir uns vor, wo wir unseren höchst geruhsamen Lebensabend gerne verbringen wollen, dann wollen wir möglichst auch noch ein nettes Plätzchen gesichert wissen, wo wir “die letzte Ruhe” finden.

Der eine möchte seine Asche auf dem Meer verstreut sehen, der andere sieht sein Gebeine am Rand des Krüger Nationalparks verrotten, die dritte findet Frieden im Wald unter einem Baum. Nur hartgesottene Materialisten weisen jede Vorstellung von der Existenz nach dem Tod weit von sich und zeigen sich gleichgültig, wenn es um den Verbleib ihrer sterblichen Reste geht.

 Die meisten Menschen wollen gerne “in der Nähe der Lieben”, “im Kreis der Familie” und natürlich in der heimatlichen Erde begraben sein. Was immer “Heimat” im Zeitalter globaler Mobilität bedeutet: Vielen Menschen ist die Vorstellung ein Greuel, einst “in der Fremde”  begraben zu sein. Die Leute im irischen West Cork haben deshalb in diesen Tagen ein ganz emotionales Thema zu bewältigen: Viele Friedhöfe im Südwesten Irlands sind mittlerweile voll, es gibt fast keine Gräber mehr in Schull, Drimoleague, Castlehaven, Skibbereen oder Glengarriff. Nun hat das Cork County Council angekündigt, dass die Toten der nahen Zukunft tatsächlich einige Kilometer weiter, eben “in der Fremde” begraben werden müssen, fernab der eigenen Gemeinde, in fremdem Acker. Wo die Karos klein, die Stirn eng und der Horizont nah sind, machen bisweilen schon drei Kilometer den entscheidenden Unterschied zwischen “Meins” und “Seins”.

Dass sie nun drei, fünf oder zehn Kilometer weiter, jenseits der eigenen Gemeindegrenzen ihre ewige Unruhe fristen sollen, ist eine grauenvolle Vorstellung für viele Land-Iren. Es regt sich deshalb Protest. Und die Älteren in den Dörfern stellen sich die Frage,  warum die Verwaltungsbehörde sich nun plötzlich um den Gräbervorrat auf den örtlichen Friedhöfen kümmert. Bislang war dies ein Thema, was zumeist gemeinde-intern und mit der üblichen irischen Improvisationskunst geregelt wurde. Wer einmal einen irischen Landfriedhof besucht hat, der weiß, wovon die Rede ist.

Der irische “Graveyard” hat wenig mit einem aufgeräumten und bis in den letzten Zentimeter durchgeplanten deutschen Friedhof zu tun – außer, dass auch er die Gebeine von Toten versammelt. Die Gräber wirken meist willkürlich gewählt und verteilt, neue Gräber werden auf alte gesetzt, meist liegen die Gebeine in mehreren Schichten – und die Vegetation deckt schnell ihren grünen Mantel über die Ruhestätten. Wer über den Friedhof spaziert – was in Irland übrigens als Freizeitbetätigung noch wenig bekannt ist – findet leicht einmal ein paar Wirbelsäulenknochen, eine Schädeldecke oder einen einsamen Unterkiefer. Und dennoch hat auch jeder irische Friedhof seine geheime innere Ordnung und übt auf Besucher aus dem Ausland eine ganz eigene Faszination aus.

Kein Frieden auf fremden Friedhöfen: Die Einheimischen in West Cork jedenfalls wollen sich nicht gefallen lassen, dass sie ihre Angehörigen künftig in Nachbars Scholle legen sollen. Mit interessanten Diskussionen darf gerechnet werden.