Irland und das Wetter. Irland und der Regen. Das Klima am Atlantik ist immer für eine Überraschung gut. In diesem Jahr wirkte der Winter Ende Januar ziemlich erschöpft, Rhododendren und Kamelien standen bereits in voller Blüte. Doch dann kam die Kälte mit Macht zurück. Die Monate Februar und März waren auf der Insel die kältesten seit mindestens 30 Jahren. Frostnacht folgte auf Frostnacht. Die Vegetation stellte das Wachstum wieder ein. Das Gras wuchs keinen Millimeter, Blüten blieben selten. So wurde aus dem gewohnten Vorsprung des irischen Frühlings gegenüber dem europäischen Festland sogar ein Rückstand. In warmen Jahren hat der Frühling hier am Atlantik vier Wochen Vorsprung, in diesem Jahr sind wir drei Wochen hinterher. Beispiel: Der Schwarzdorn (Foto unten) blühte in Deutschland bereits vor der Wochen, hier legt er nun mit Verspätung los. Denn endlich halten wärmere Tage Einzug.

Und auch das Gras wächst nun. Irlands Farmer hat das seit Februar ausbleibende Gras schon an den Rand der Verzweiflung gebracht. Sie müssen ihren Schafen und Rindern Heu und Silage füttern, um die Tiere am Leben zu halten – und es ist wie immer nicht genug Vorrat im Land. Die Farmer rufen nach finanzieller und materieller Hilfe, die Regierung hilft mit großer Verzögerung, das Tierfutter wird über dem Meer eingekauft,  und alles ist wieder ganz großes Drama. Die Leidtragenden sind die Tiere.

 

Der viele Regen der letzten Wochen hat zur schlechten Lage der Farmen beigetragen. Die Felder gleichen vielerorts Seen und Teichen, der Boden ist nass, tief und kann vielerorts nicht beweidet werden. Das Gras steht noch immer schütter und kurz. Die vielen Klagen der Irinnen und Iren, die meinen, das Wetter würde immer nasser, sind nun von Wissenschaftlern bestätigt worden. Eine Studie der irischen Universität Maynooth kam zu dem erschütternden Ergebnis: Das Jahrzehnt von 2006 bis 2015 war das regenreichste seit dem Jahr 1711. Die letzte Dekade war demnach die regenreichste und nasseste in den vergangenen 300 Jahren. Die durchschnittliche jährliche Regenmenge lag bei 1990 Millimeter, der jährliche Durchschnitt während der letzten 300 Jahre betrug mit 1080 Millimeter fast die Hälfte.

Die Wissenschaftler sind sich einig: Der viele zusätzliche Regen, der überwiegend in den Wintermonaten fällt, ist dem Menschen-gemachten Klimawandel geschuldet. Auch der stürmischste Winter fällt übrigens in das vergangene nasse Jahrzehnt: Der sturm-reichste Winter seit 1711 war der Winter 2013-13 mit einer Serie gewaltiger Unwetter. Wir erinnern uns gut und mit Grausen daran. Die Arbeit der Wissenschaftler von Maynooth ist übrigens spektakulär, weil sie mehrere bislang nicht genutzte und nicht veröffentlichte Datenquellen auswertete und kombinierte. Damit ist klar: Der Trend zu nasseren Wintern und trockeneren Sommern in Irland ist ungebrochen – und trotz der Trockenheit der Sommer fehlt diesen warmen Monaten oft zusätzlich die Sonne.

Ein aktueller Blick in die irische Landschaft zeigt: Die gelben Ginsterblüten bekommen nun reichlich Gesellschaft, in der Landschaft Südwest-Irlands verdrängt Farbe allmählich das triste Ocker und Braun des Winters. Die Blätter von Weiden und Birken treiben aus. In den Hecken, für die Irland berühmt ist, begann in dieser Woche der Schwarzdorn (Prunus spinosa) zu blühen. Die kleinen cremefarbenen Blüten (unser Foto) erscheinen zeitlich vor den Blättern an den schwarzen, mit bis zu fünf Zentimeter langen Dornen ausgestatteten Ästen des Draighean. Die alten Iren stehen dem Schwarzdorn, auch Schlehe genannt, zwiespältig gegenüber. Einerseits wird ihm zugesprochen, dass er die Menschen schützt, die einen Stock oder Knüppel aus Schwarzdorn bei sich tragen, andererseits wird erin der Folklore auch mit übelwollenden Kräften der Geisterwelt in Verbindung gebracht. Wahrscheinlich denkt jeder, der sich einmal an einem Schwarzdornbusch verletzt hat, eher negativ über das Gehölz. Manchmal wird der Schwarzdorn geradezu als Unglücksbringer gebrandmarkt, der zwar “besser als der Teufel aber schlechter als die Brombeere” sei.

 

schwarzdorn irland

Spätstart: Der Schwarzdorn blüht.

 

Viele Menschen verwechseln den Schwarzdorn wegen der weißen Blüten mit dem Weißdorn, der erst Wochen später blüht und der vor der Blüte die Blätter entwickelt. Die weißen Blüten der Schlehe jedenfalls ließen irische Dichter gerne den Vergleich zu Frauen ziehen: “My love is like the flower of the dark blackthorn” – was eine Frau nicht nur als Lob nehmen muss,  impliziert die Metapher doch auch die dornige Seite der Wesen.

In den traditionellen irischen Hecken hat der Schwarzdorn jedenfalls einen Stammplatz. Diese natürlichen Zäune wurden als Einfriedung von Feldern und Gehöften kunstvoll kultiviert und gepflegt, bis sie einen schier undurchdringlichen Wall bildeten. Der Niedergang der Hecken begann 1880 mit den ersten Importen von Stacheldraht aus den Vereinigten Staaten. Doch noch heute kennen alte Bauern die Kunst, im Lauf der Jahre durch behutsame Eingriffe schützende Hecken zu formen. Auch die Vögel des Landes ziehen eine ordentliche Hecke jedem Stascheldraht vor, und auch den Fledermäusen dienen die Hecken entlang der Straßen und Grenzen als Reisekorridore. Zu dumm, dass die Straßenarbeiter der County Councils von der Nützlichkeit und Bedeutung der Hecken nicht mehr viel wissen, sonst würden sie die Pflanzenwege am Straßenrand nicht abschlachten, abschlagen, zerstückeln und zerstören wie alle Spätwinter wieder. Die zerstörerische Vorherrschaft des Autos und die Entfremdung der Menschen von der Natur regieren nicht nur in deutschen Städten.
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Fotos: Eliane Zimmermann / www.aromapraxis.de ; Markus Baeuchle

Aus den dunkelblauen Beeren  (Sloes) des Schwarzdorns , die als Schlehen bekannt sind, wird übrigens Sloe Gin, Schlehenschnaps oder Schlehenlikör gemacht. Der Bluesmusiker Joe Bonamassa hat dieser Spirituose ein musikalisches Denkmal gesetzt: Sloe Gin.