Ein Zaun, eine Ladung Mutterboden und schwupp, da war der Weg weg: Zahlreiche alte öffentliche Wege in Irland sind in den vergangenenen Jahrzehnten verschwunden. Das Privateigentum regiert, der Zaun um das eigene Grundstück hat einen hohen Stellenwert – auch weil vielen Iren von den englischen “Gutsherren” jahrhundertelang Grundbesitz vorenthalten wurde.

Wo öffentliche Wege verschwinden, verschwindet auch der Zugang in die Fläche, die Landschaft, an den Strand, auf den Berg. Bis heute hat der irische Staat keinen Weg gefunden, das öffentliche Gut “Zugang” zu schützen, eine Institution wie der National Fund in Großbritannien fehlt. Oft sind die alten öffentlichen Wegerechte (Public Right of Way)  noch nicht einmal in Karten oder im Grundbuch eingetragen, sondern sind mündlich überlieferte Rechte.

Während es für Wanderwege wenigstens halbherzige Versuche einer staatlichen Regelung gibt, steht es um die historischen Landwirtschafts-Wege, die Transportstraßen für Seetang (Dünger), für Torf (Brennmaterial) und die Wege zu den Kuhweiden ganz schlecht. Sie verschwinden nach und nach, der Bewegungsspielraum konzentriert sich zunehmend auf die vielbefahrenen Hauptstraßen – wenn es da nicht doch verzeinzelt engagierte Hüterinnen und Hüter des freien öffentlichen Zugangs geben würde.

Heute morgen spazierte der Wanderer mit einer kleinen Gruppe, angeführt von einer reizenden Nachbarin, über die alte Straße in einem benachbarten Townland. Die Verbindung führt von einem Haus am Meer über gut zwei Kilometer zum sogenannten “Doctor´s House”. Dort wohnte traditionell der Dorfarzt. Die Straße fiel indessen irgendwann in einen Dornröschenschlaf, die letzten direkten Anwohner hatten ihr Haus vor über 100 Jahren verlassen und wanderten nach Amerika aus. Nur einzelne Bauern brachten ihr Vieh dort noch auf die Weiden, einige ältere Leute nutzten den Weg, auch einige regelmäßige Spaziergänger.

Nun, einige Jahre nach dem Tod der letzten Ärztin entstand Bewegung rund um das Doctor´s Haus: Die Bäume wurden großflächig abgesägt, die Landschaft “aufgeräumt”, der alte Weg einfach entfernt. Demnächst sollen die Landschaftsgärtner und die Torbauer anrücken. Doch die fleißigen Sanierer haben die Rechnung ohne die alte Dame mit dem guten Gedächtnis gemacht. Sie stammt aus dem Dorf, sie ging und geht die alte Straße jedes Jahr, und sie will dieses Recht auch für ihre und andere Enkelkinder sichern.

So lud die umgängliche Irin heute morgen, für das Beweisfoto bewaffnet mit der Ausgabe einer aktuellen irischen Wochenzeitung, zur Ortsbegehung ein.  Die Gruppe beging den Weg und dokumentierte damit ihr Wegerecht. Einmal im Jahr, so sagt man, muss ein altes Wegerecht genutzt werden, um auch in Zukunft Bestand zu haben. Ein Anwaltsbrief soll den Anspruch nun noch offiziell dokumentieren.  Damit die Menschen im Dorf auch in zehn und 20 Jahren noch die herrlich gelegene alte Straße gehen können.