Til Mette: Fröhliche Weihnachten

Til Mette: Fröhliche Weihnachten*

Fröhliche Weihnachten? In Irland hat die Flucht aus Gründen der Unterdrückung, der Armut und der fehlenden Lebens-Perspektiven eine Jahrhunderte alte Tradition, sie ist als Irish Emigration bekannt. Millionen Irinnen und Iren waren bis heute darauf angewiesen, in Ländern fern der Not leidenden Heimatinsel aufgenommen zu werden — und vielleicht sogar freundlich willkommen geheißen zu werden. In Irland müsste eine positive Willkommens-Kultur aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen deshalb besonders ausgeprägt sein. Auch der bekannte Werbespruch irischer Tourismus-Werber, denen zufolge Fremde nichts anderes sind als Freunde, denen man noch nicht begegnet ist, könnte darauf hin deuten, dass Mary und Paddy im Umgang mit Fremden großherzig und offen sind und nicht fremdeln.

Die Fakten in Irland Ende 2015: Die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird auf der Insel wenig wahrgenommen – und wenn, dann als ein Phänomen, das Irland nicht viel angeht. Weit über eine Million Menschen sind in diesem Jahr nach Europa geflüchtet, doch Syrien, Griechenland, der Balkan, Italien, Österreich und Deutschland sind im Bewusstsein vieler Insulaner ziemlich weit weg.

Abgeschottet. Durch die Insellage am Atlantik und im Rücken des sich unsolidarisch abschottenden Großbritanniens genießt Irland einen natürlichen geographischen “Schutz” vor unkontrolliert einreisenden Fremden. So nahm das Land in diesem Jahr bislang gerade einmal 100 Flüchtlinge auf.

4000 können kommen. Im September verpflichtete sich die irische Regierung gemäß dem Verteiler-Schlüssel der EU insgesamt 4000 Flüchtlinge, vornehmlich Menschen aus Syrien, aufzunehmen. 4000 Refugees in Irland entsprächen in der Größenrelation 72.000 Flüchtlingen in Deutschland. Bis heute hat kein einziger dieser Menschen in Not das Privileg genossen, in Irland aufgenommen zu werden. Statt dessen beschäftigen sich die zuständigen Behörden mit sich selbst, haben von 87 angebotenen Not-Unterkünften 19 als geeignet anerkannt. Die Regierung hat kurz vor Weihnachten ein schärferes Asylgesetz ohne Anhörung und Parlaments-Debatte durch die Instanzen gepeitscht, das eine schnelle Abschiebung erleichtern und den Familienzuzug begrenzen soll. Die Flüchtlings-Hilfsorganisationen laufen derweil ohne spürbare Auswirkungen Sturm gegen “das Versagen der Regierung”, “die Nichteinlösung von Minimal-Versprechen” und eine Gesetzes-Novelle, die gegen statt für die Flüchtlinge gemacht worden sei. Sie fordern zudem, dass Irland mindestens 20.000 Menschen aufnehmen soll.

Gegen-Verkehr. Statt not leidende Menschen schnell und unbürokratisch ins Land zu lassen, machten sich vor Weihnachten offizielle Delegationen von Funktionären und Regierungsbeamten auf den Weg nach Griechenland, um die Übersiedlung der ersten Syrer-Familie nach Irland von gaaaanz langer Hand für das neue Jahr vorzubereiten. Die zehnköpfige Familie wartet in Athen auf den Umzug ins Hazel Hotel in Monasterevin im County Kildare, um dort dann zumindest für einige Wochen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag zu bleiben. Die Grafschafts-Verwaltung des großen County Kerry sieht sich derweil nicht in der Lage, genügend Unterkünfte für 44 (!) Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

Stille Nacht. Irische NachtAlles schaut weg, nur einsam wacht der wackere Präsident Michael D Higgins über die politische Landschaft. Der kleine couragierte Mann im Phoenix Park in Dublin, der fast keine politischen Befugnisse, dafür aber große moralische Autorität hat, legte jetzt sein Veto gegen die Hauruck-Reform des Asylgesetzes ein und meldete verfassungsrechtliche Bedenken an. 

Heilige Nacht. In Schulen, in Kindergärten, in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen in Irlands Städten und Dörfern erinnern zahlreiche Weihnachts-Krippen an die erste prominente Flüchtlings-Familie der neuen Zeitrechnung. Genau diese Familie, vor allem die Mutter und das Kind, werden in Irland noch immer verehrt und von manchen geradezu vergöttert.

Hoffnung. So gilt es “nur” noch 1 + 1 zusammen zu zählen. Ihr Kinderlein kommet. Frohe Festtage, wo immer Ihr seid!

Weihnachts-Krippe in einer irischen Schule

Weihnachts-Krippe in einer irischen Schule

PS: Wir haben versucht zu erfahren, wie Privatleute helfen und Flüchtlinge vorübergehend aufnehmen können. Bislang ohne Erfolg (kein Wunder, da noch gar keine Flüchtlinge im Land sind?). Die Informationslage ist dünn und intransparent, Flüchtlings-Hilfsorganisationen wie das Irish Immigrant Support Centre NASC in Cork weisen darauf hin, dass sie selber nicht mehr wissen, als das, was in der Zeitung steht – und in der steht nicht viel. Es wirkt, als betreibe die irische Regierung Flüchtlingspolitik als Geheimprojekt. Wir bleiben dran.

Peter Sutherland, der alte irische Strippenzieher, sieht sein Land in der Pflicht: Irland muss tatkräftig helfen, denn es hat ein ureigenes Interesse daran, dass Europa diese Krise bewältigt. Sollte Europa auseinander brechen, dann ereilt Irland das traurige Schicksal eines kleinen hilflosen Anhängsels am westlichen Rand eines Scherbenhaufens. In diesem Sinne . . . 

*  Seine Karikatur hat Til Mette auf Facebook veröffentlicht
Foto unten: Markus Bäuchle