Dublin Tales on Irlandnews

Die Staatskutsche bei ihrem großen Auftritt in der St.-Patrick’s-Day-Parade in Dublin

Dublin Tales ist eine Serie auf Irlandnews, die von Irlandnews-Autor Dirk Huck* geschrieben wird.  Heute berichtet Dirk über die Kutsche des Bürgermeisters der irischen Hauptstadt Dublin.

Dublin TalesAn einem Tag in Dublin im Jahr 1701: Zahlreiche Schaulustige haben sich am College Green gegenüber von Trinity College versammelt, um der feierlichen Enthüllung der Statue von König William III, Held der Schlacht an der Boyne 1690, beizuwohnen. Unter den staunenden Blicken der Anwesenden fährt die prächtige Kutsche des Lord Justice vor. Einige Meter hinter ihr folgt, zu Fuß, der Lord Mayor von Dublin. Verschwitzt vom Fußmarsch blickt er erst auf seinen staubigen Schuhe und schmerzenden Füße, dann auf die Kutsche des Lord Justice vor ihm. Ja, denkt er sich wohl, eine solche Kutsche hätte ich auch ganz gerne. Seine Verlegenheit ist ihm anzusehen.

Muss Dublins Lord Mayor (Bürgermeister) heute einen Termin wahrnehmen, lässt er seine moderne Version der Kutsche vorfahren. Der Chauffeur hält ihm die Tür auf, er nimmt auf der komfortablen Rückbank Platz und ab geht es mit einigen hundert Pferdestärken und sanft gefedert zum Termin. Eine solche Annehmlichkeit wurde längst nicht all seinen Vorgängern zuteil, wie die eingangs erzählte Geschichte zeigt.

Vor dreihundert Jahren mussten die Lord Mayor von Dublin entweder ihre eigene Kutsche stellen – oder eben zu Fuß die Strecke vom Amtssitz zum Ort des Termins zurücklegen. Nicht alle verfügten über ein Privatvermögen wie Lord Mayor Humphry French, der im Oktober 1732 mächtig Eindruck machte, als er mit einer von sechs Pferden gezogenen, von üppig ausstaffierten Kutschern gelenkten und von Dienern begleiteten Equipage zur Geburtstagsfeier von König George II vorfuhr. Allerdings hatte das mit dem Privatvermögen auch so seine Tücken: Zwanzig Jahre später, im Juli 1751, verzeichneten die Chronisten, dass French zu Fuß zur Grundsteinlegung für das neue Rotunda Krankenhaus anreiste.

Derlei Peinlichkeiten überdrüssig, diskutierte Dublins Stadtversammlung 1763 erstmals, dem Lord Mayor für die Ausübung seines Amtes eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Kutsche zur Verfügung zu stellen. Drei Jahre später glaubte man eine Lösung gefunden zu haben, als man günstig eine Gebraucht-Kutsche erwarb. Die allerdings hatte einige Kilometer zu viel auf den Speichen und entpuppte sich als reparaturanfälliger und kostspieliger, als man sich das vorgestellt hatte.

Der Bürgermeister von Dublin kommt

Der Lord Mayor von Dublin in der kunstvoll verzierten Kutsche aus dem Jahr 1791

1789 entschloss sich die Stadt dann endlich, eine neue Kutsche in Auftrag zu geben. Von den etwa dreißig Kutschenbauern der Stadt erhielt William Whitton den Zuschlag. Whitton machte sich mit den besten Künstlern und Handwerkern sogleich an die Arbeit. Prächtig sollte die Kutsche für den Bürgermeister werden, ein echtes Vorzeigemodell, mit der neuesten Ausstattung, dem Feinsten vom Feinsten.

Im November 1790 war die neue Kutsche bereit, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden. Es ergab sich allerdings, dass seit kurzem der Lord Chancellor, Lord Clare, mit seinem neuesten Spielzeug, einer in London für die stolze Summe von 7.000 Pfund gefertigten Nobel-Karosse durch die Straßen von Dublin cruiste und die Blicke auf sich zog. Diese Zurschaustellung von Prunk und Handwerkskunst entging auch der Dubliner Stadtversammlung und William Whitton und seinen Kunsthandwerkern nicht. Man entschloss sich, die eigentlich fertige Kutsche in die Garage zurück zu schieben und ein paar Nacharbeiten durchzuführen. Was die Londoner Kutschbauer können, so sagte man sich, können wir schon lange. Der Ehrgeiz war geweckt.

Ein Jahr später, rechtzeitig zu den Geburtstags-Feierlichkeiten für König William III, wurde das nachgebesserte Modell dann endlich der Öffentlichkeit vorgestellt. Dublins Lord Mayor genoss die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit, denn sein neues Dienstgefährt war tatsächlich ein echter Hingucker. König William III selbst wäre beim Anblick ins Schwärmen gekommen: Jede Ecke des Dachs der Kutsche war mit der kunstvoll geschnitzten und vergoldeten Figur eines Engels verziert, der einen Strauß orangefarbener Lilien hielt. Und das Beste: Die Dubliner Kutsche hatte nur 2.690 Pfund gekostet, weniger als die Hälfte der Summe, die Lord Clare für seinen Import aus London gezahlt hatte.

Nach ihrer Premiere im Jahr 1791 wurde die kostbare Kutsche allerdings nur gelegentlich eingesetzt. 1932 hatte sie auf dem Eucharistischen Kongress in Dublin noch einmal einen eindrucksvollen Auftritt, bevor sie wieder für einige Jahre in der Lagerhalle verschwand. Seit 1975 allerdings ist sie, inzwischen aufwändig restauriert, wieder regelmäßig in den Straßen Dublins zu sehen: auch jedes Jahr im März als Auftakt in der großen St. Patrick’s-Day-Parade — und natürlich mit dem Lord Mayor an Bord.