Schafe in Irland_Wandern in IrlandGutes Irland. Welches Volk der Welt erfreut sich eines besseren Rufes als das der Iren? Mir fällt keines ein. Die Iren sind zweifelsfrei die Guten in dieser Zeit, die längst wieder vom Bösen und Bedrohlichen dominiert wird. Mehr noch, sie sind die ganz Guten, die sympathischen Menschen mit den großen grünen Hüten von der Grünen Insel. Die immer freundlichen, gastfreundlichen, redseligen, gutgelaunten und sanft-friedlichen Insulaner mit Hang zu Bier, Spiel, Spiritualität und Gesang. Selbst jetzt, bei der Bewältigung der schwersten Wirtschaftskrise im jungen Staate Irland scheinen sich die Irinnen und Iren als Musterpatienten zu profilieren, die ihre von den Finanzmärkten verordnete bittere Medizin des sich Totsparens zugunsten des internationalen Kapitals brav schlucken — und man glaubt es nicht: Umfragen und Untersuchungen wie der OECD Better Life Index bescheinigen Paddy und Mary, dass fünf Jahre Spardiktat, Verarmung, Sozialabbau und Entsolidarisierung wie spurlos an ihnen vorbeiziehen: Sie erfreuen sich des Lebens, sind zufrieden, optimistisch und gut drauf. Besser als die Briten, besser als die Deutschen. Besser als die meisten Europäer. How come? Warum eigentlich? Kann die Welt von diesen Frohnaturen lernen?

Man kann zum Schluss kommen, den der Kolumnist John Waters vor kurzem in der Irish Times gezogen hat: Dass sich die meisten Iren von Geld und Gier nicht haben in die Irre führen lassen; dass sie es zwar zehn Jahre ordentlich krachen ließen, nun aber — da Wohlstand und Konsumorgien sich verflüchtigt haben — von einer tieferen Dimension ihrer kollektiven Identität aufgefangen werden, die sich dem ökonomischen Streben, Maximieren und Vergleichen entzieht: der Sicherheit und Sinnhaftigkeit der spirituell-christlichen Glaubenstradition. Andere Erlärungsversuche für die “Happy poor Irish” unterstellen Gefallsucht in deren Antworten oder einen getrübten Blick: Glücklich ist, wer das Glas stets halb voll sehen kann, weil sein halb leeres Glas stets ordentlich wieder gefüllt wird. Wer die Suizid-Statistiken bei jungen Männern in Irland und anderswo liest, mag die Ergebnisse schlicht für Propaganda halten, oder man kann zum Schluss kommen, dass die Unzufriedenen sich der Umfragen weitgehend entzogen haben, weil sie längst nicht mehr in Irland leben: Hunderttausende haben die Insel in den vergangenen Jahren mit dem Ziel einer besseren Zukunft verlassen.

Genug der Motivsuche: In der Wirklichkeit manifestiert sich die irische Zufriedenheit als Fatalismus, als Schicksalsergebenheit und als Angst vor der Verantwortung. In keinem anderen Land im krisengeplagten Europa nehmen die Menschen die von außen verordnete massive Sparpolitik so klag- und widerstandslos hin wie in Irland. Im Gespräch, im Talk Radio oder in den Leserbriefspalten der Zeitungen wird zwar ordentlich geschímpft und Dampf abgelassen. Doch erkennbar starke politische Impulse wie Widerstand oder gar Neuorientierung entwickeln sich daraus nicht. Beredte Tatenlosigkeit allenthalben. Am Ende der Diskussion schwenkt der irische Gesprächspartner bevorzugt die weiße Fahne der Kapitulation mit dem Satz:”So sind wir halt. 800 Jahre Besatzung haben ihre Spuren bei uns hinterlassen. Erst die Engländer und Briten und jetzt die Troika und die Deutschen”. Natürlich setzt die deutsch-dominierte Austeritätspolitik die irische Regierung und das Volk massiv unter Druck. Zum Drücken und Erdrücken lassen gehören allerdings immer zwei. Die Menschen auf der Insel halten nicht mit Gestaltungswillen, Widerstand und Alternativstreben dagegen, sie fügen sich gott-england-und germanen-ergeben ins Schicksal.

Die Partei, die Irland von 2000 bis 2010 ins ökonomische Chaos regiert hat (Fianna Fail) , erhält in Umfragen bereits wieder eine Mehrheit, die aktuelle Regierungspartei (Fine Gael) und die alte Dauerregierungspartei (Fianna Fail) binden zusammen zwei Drittel der Wähler und mehr an sich, obwohl sie erkennbar dem Land und seinen Menschen mehr schaden als nutzen — und dennoch haben die Irinnen und Iren für ihre etablierten Parteien, die Regierung und den Staat nicht viel übrig. Die “Obrigkeit” will geduldet, ertragen, und wo immer es geht, hintergangen und ausgenutzt werden. Eine Lösung der Probleme traut man ihr nicht zu, dafür sitzt das Jahrhunderte alte Misstrauen in die Eliten offensichtlich allzu tief.

Es heißt oft, dass Worte mächtiger seien als Waffen. Die wortmächtigen Menschen von der grünen Insel bewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist: Sie lamentieren rhetorisch auf höchstem Niveau, doch den Worten wachsen keine Beine — und wenn doch, führt der Frust allenfalls zum Flugzeug nach Australien. Die einen nennen das Pragmatismus, die anderen Weglaufen. Das ist die dunkle Seite der irischen Seele — die Niederlagen wie Siege feiert und ganze Stadien irischer Fans beim Untergang ihrer Mannschaft singen lässt. It’s so lonely ’round the Fields of Athenry . . .