Farmer John. Barfuss zum Gipfel.

Farmer John. Barfuß zum Gipfel.

Das Wetter in Irland. Ich habe Glück, ich mag meine Arbeit (hier in Irland sagt man: Ich liebe sie). Es fühlt sich nicht an wie Arbeit, wenn ich Menschen auf Berge, ans Meer, durch irische Dörfchen und am Ende des Tages ins Pub führe. Nur ganz ab und zu leide ich ein wenig – genauer: Ich leide mit. Das kann geschehen, wenn ein Schauer einen Wandergast vollkommen aus der Balance wirft, wenn eine Regenwolke den Tag eines Wanderers völlig zu verderben droht, wenn ein Sonnenanbeter verzweifelt die ewige spanische Sonne in irischen Gefilden sucht, wenn die Stimmung im Nieselregen baden geht, wenn gefallene Engel reisen . . . Dann leide ich manchmal mit dem Unglücklichen mit.

Es gibt dann und wann Ferienreisende, die nach Irland kommen und eine Sonnenscheingarantie gebucht haben. Es gibt Menschen, die das ewige Sonnenlicht stets dort wähnen, wo sie sich gerade aufhalten, und die ein Sonnenbad für eine tiefe Naturerfahrung halten. Sie empfinden die Schönheit und die Vielfalt des atlantischen irischen Wetters als ein persönliches Unglück.

Barfuss zum Gipfel. Vor einigen Tagen bestiegen wir einen der prominenten Berge in Irlands Südwesten, einen felsigen, widerspenstigen und steil zulaufenden Gipfel in den Caha Mountains. Wir, das waren ein gutes Dutzend Wanderer aus Deutschland, ich – und Farmer John. Die Wanderer seriös und gut vorbereitet, sicher eingepackt in wasserdichtes Goretex, im Rucksack Proviant, Wasser und allerlei Rüstzeug für alle Fälle. John der Farmer im Alltagslook: Hemd, Hose, kein Rucksack, ein Stock nur – und barfuß. Keine Schuhe, keine Socken. Kein Proviant. Kein Regenschutz.

John, ein Mann von 60 Jahren, steigt leichtfüssig und singend zum Gipfel. Er macht es wie sein Vater, sein Großvater, genießt das schmatzende Geräusch des nassen Moores unter seinen nackten Füßen. Wir erleben einen wundervollen Tag mit Sonnenbrand-Risiko. Am Ende ein Schauer. Ein, zwei Leidende. Ein gutes Dutzend gut Geschützte. John empfängt die feuchte Erfrischung von oben im offenen Hemd. Wir ziehen, vermummt und behütet im funktionalen Ganzkörper-Schutz unter Kapuzen und Schirmen dem wartenden Bus entgegen. Oh happy day . . .