Puten in Massentierhaltung

Puten in Massentierhaltung

Feiertagsbraten in Irland. In deutschen Wohnstuben enden einige Millionen Gänse nach zwölf Wochen qualvoller Mast an Weihnachten als jüngstes Gericht. Immerhin: Die Fraktion der Vegetarier und Veganer wird stärker und kocht auch am Fest der Feste tier-frei. In Irland lebt die Gans kurz vor Weihnachten weniger gefährlich. Doch das liegt nur daran, dass sich die Iren zum Fest bevorzugt einen dicken Truthahn in die Röhre schieben. Turkey-cide – diese Tage enden für den irischen Truthahn in der Regel tödlich. Der “Turkey” ist der irische Weihnachtsschmaus. Ohne Truthahn- beziehungsweise Putenbraten empfinden die meisten Iren Weihnachten als mäßig gelungen bis misslungen. Dabei ist dieses von den amerikanischen Verwandten abgeschaute Festritual keine irische Tradition.

Braten irland
Während Großstädter auf der Insel sich den maschinell enthaupteten Truthahnbraten ofenfertig vorbereitet und gestopft bei SuperValue oder SuperQuinn abholen, ist die Vorbereitung des Festtagsbratens auf dem Land meist noch mit Arbeit verbunden. Zwei, drei Tage vor dem Fest wird die Luft meistens dünn für die plump-fleischigen Vögel, deren Leben meist nur einige Monate dauert. Dann kommt der Bauer mit Holzscheit und abwaschbarer Schürze, und das letzte Stündchen hat geschlagen. Nach dem Rupfen hängt der Truthahn zwei Tage kühl, mit Kopf nach unten, bevor er sich für die Bratröhre qualifiziert.
Truthahn
 Unsere Fotos entstanden (mit Ausnahme des Titelbildes) in einer Bauernstube in West Cork kurz nach der Schlachtung und auf einem Bio-Bauernhof hoch in den Bergen, der in diesen Tagen wieder 80 selber aufgezogene Truthühner in Richtung Kochtöpfe schickt. Der blutbefleckte Farmer erzählte uns, es hilft, wenn man den Tieren erst gar keinen Namen gibt, und eine Bäuerin stöhnt über die viele Arbeit, über die Verdorbenheit der Kunden, die nur noch Truthühner (Puten) akzeptierten und über die große Ruhe, die sich über die Farm legt, wenn der letzte Truti ausgegluckst hat . . .
Hunderte Millionen Chinesen und Inder kommen derweil auch zunehmend auf den Geschmack und wechseln von eher vegetarischer Kost zu Fleisch und Geflügel. Die globalen Aussichten für die polnische Mastgans, die Ente aus Peking und das Rindvieh aus der argentinischen Pampa sind also eher schlecht. Nur im Westen des blauen Planten, im alten Europa und in den USA, dem Land mit den meisten gemästeten Menschen weltweit, regt sich mehr und mehr Sympathie für unsere gefiederten und vierbeinigen Freunde.
Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer hat vor einigen Jahren ein bemerkenswertes Buch über die westliche Parade-Disziplin “Fleischessen” geschrieben: “Tiere essen”.  Ein Buch, das weder hetzt noch zetert, sondern ganz sachlich die uralte Praxis des Menschen  analysiert, sich durch Töten am Leben zu halten. Natürlich wirft Safran Foer am Ende auch die Frage auf, ob es gelingen kann, die westlichen Vorlieben von Steak, Rinderfilet und Putenbrust bis zum Zürcher Kalbsgeschnetzelten zu globalisieren und acht Milliarden Menschen und mehr mit getötetem Tier zu ernähren.
Jonathan Safran Foers Buch gibt es hier:
Eine erste Version dieses Beitrags wurde am 24. Dezember 2010 an dieser Stelle veröffentlicht.