Schuster in Irland Unterwegs auf der Beara Peninsula schauten wir vor kurzem bei Jim Blake vorbei, dem letzten Schuhmacher in Irlands Südwesten — und baten ihn endlich um ein Foto. Jim setzte sich für ein Porträt gerne vor die Kamera und wünschte uns, dass wir mit dem Bild ein Vermögen machen würden. Hier ist Jim´s Geschichte und die des irischen Schuhmachers:

Im alten Irland gab es ihn in jedem Dorf: Neben Pfarrer, Lehrer, Arzt, neben Wirt, Bäcker und Schneider war der Schuhmacher ein wichtiger Mann im Ort. The Cobbler, wie er in Irland genannt wird, war eine Institution. Inzwischen ist er den Moden der Zeit gewichen – Wegwerfschuhe, Wohlstandsgebahren und im Billig-Akkord arbeitende Mister Minits haben den Dorf-Schumacher in den Orkus der Zeit geschickt. Doch halt: Dort draußen auf der Beara Peninsula, in West Cork, im schönen Örtchen Adrigole, können sich Menschen mit abgelaufenen Absätzen und durchgescheuerten Sohlen auf Zeitreise begeben. In Adrigole arbeitet der letzte Schumacher der Beara Peninsula – und wahrscheinlich in ganz West Cork: Jim Blake heißt der Cobbler, er ist um die 80 jahre alt, fuhr bis vor kurzem mit dem Fahrrad zur Arbeit und arbeitet auch heute noch fast jeden Tag. Wer seine kleine Werkstatt direkt an der Hauptstraße am Ortsausgang von Adrigole Harbour nicht kennt, wird an ihr vorbei fahren. Sie trägt kein Schild, kein Zeichen. Nichts. Man weiß Bescheid auf dem Dorf – oder halt nicht.

Geschichten aus dem Glen, IrlandJim ist ein Mann des alten Leistens. Er kann verächtlich über den modernen Schuh und die Wegwerfgesellschaft sprechen. Doch wenn ihm gerade der Schalk im Nacken sitzt (und das tut er meistens), fragt er seinen Kunden lieber, warum er ihm seine alten Treter vorbei bringt – und ob er sich nicht bald mal ein paar neue kaufen will. Arbeit und Humor halten den Senior-Schuster von Adrigole bei Laune und Gesundheit. Ein Tag war gut für ihn, wenn er ein paar nette Schwätzchen hatte und wenn er den einen oder anderen Kunden ein wenig ins Bockshorn jagen konnte.

Der Wanderer ist naturgemäß viel auf seinen Sohlen unterwegs und deshalb ein regelmäßiger Gast in Jims Werkstatt. Er glaubte eigentlich, den alten Kauz ganz gut zu kennen, doch Fehlanzeige. Kürzlich wurde auch er zum Opfer im kleinen Reich des Cobblers. Jim begrüßte ihn mit etwas ratloser Miene. Was er denn wolle? Der Wanderer wies höflich darauf hin, dass er seine beiden hoffentlich frisch besohlten Paar Schuhe abholen wolle. Unter seiner Werkbank mitten im Raum unterhält Jim einen großen Haufen bunt durcheinander gewürfelter alter Schuhe – vereinzelte, irreparabel zerstörte, nie abgeholte Gehhilfen – und in diesem Haufen begann Jim jetzt zu wühlen, fragte den Wanderer schließlich: “Kannst du Deine Schuhe hier finden, ich sehe sie nicht.”

Tatsächlich brachte das alte Schlitzohr den Wanderer dazu, im großen Abfallhaufen zu wühlen – und als sich bereits Verzweiflung breit machte, setzte der alte Mann ein breites Grinsen auf und raunte: “Halt, ich glaub ich habe Deine Schuhe doch woanders aufbewahrt”. Sprachs, drehte sich um und fischte eine Plastiktüte aus der Ecke. Inhalt: zwei paar einwandfrei reparierte Schuhe. Lang lebe Jim, der Schuster.

Fotos: © Markus Bäuchle 2011